Tut die TU Berlin genug, Herr Völker? (2024)

Interview mit dem TU-Vizepräsidenten zu DFG-Verbundinitiativen

In einem strategischen Prozess fördert die TU Berlin Initiativen von Wissenschaftler*innen für DFG-Verbundvorhaben in den Ingenieurwissenschaften. In einem ersten Schritt werden bereits elf Verbundinitiativen mit insgesamt knapp zwei Millionen Euro über zwei Jahre unterstützt. Im Interview berichtet Prof. Dr.-Ing. habil. Stephan Völker, Vizepräsident für Forschung und Berufung, über die Hintergründe und weiteren Schritte.

Die TU Berlin wird ab Juli 2024 bei nur einem einzigen Sonderforschungsbereich (SFB) der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) die Sprecherin sein. Ein Grund zur Besorgnis für Sie?

Jedenfalls kein Grund zur Freude. Aber Sie haben die Lage jetzt auch absichtlich besonders dramatisch dargestellt. Momentan besitzen wir zusätzlich zur Federführung in einem SFB zur Raumsoziologie noch die Sprecherinnenrolle in einem sogenannten Transregio-SFB zur Mathematik. Die teilen wir uns mit einer anderen Hochschule und der SFB endet tatsächlich Ende Juni 2024. Aber wir haben zum Beispiel drei laufende Exzellenzclusterund das große nationale KI-Zentrum BIFOLD, auf die wir sehr stolz sind. Zwei Anträge für SFB befinden sich im Begutachtungsverfahren bei der DFG. Für ein realistisches Bild der Lage muss man auch berücksichtigen, dass im Jahr 2022 zwei SFB ausgelaufen sind und im Jahr 2021 einer. Also gerade mitten in der Corona-Pandemie.

Tut die TU Berlin genug, Herr Völker? (1) ©Philipp Arnoldt

Warum ist das von Bedeutung?

Verbundprojekte, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert werden, also Sonderforschungsbereiche, Graduiertenkollegs, Forschungsgruppen und besonders die ortsverteilten Schwerpunktprogramme, leben ja vom Austausch der Wissenschaftler*innen untereinander. Der war natürlich durch Corona ziemlich beeinträchtigt. Kein guter Zeitpunkt also, um neue Verbundprojekte zu initiieren. Universitäten, deren SFB diese Zeit überdauert haben, waren hier schon im Vorteil. Sonderforschungsbereiche können ja bis zu zwölf Jahre laufen.

Welche Maßnahmen hat die TU Berlin ergriffen, um neue DFG-Verbundprojekte anzuschieben?

Schon das vorherige Präsidium hat mit der Einrichtung der „Dialogplattform“ eine Organisationsberatung für Verbundprojektegeschaffen. Neben zahlreichen Workshops fanden in den Jahren 2018 und 2021 sogenannte Ideenkonferenzen statt, die bereits die Initiierung von Forschungsverbünden zum Ziel hatten. Die Resonanz der Teilnehmenden auf diese Konferenzen war auch durchweg positiv. Wir haben dieses Format im vergangenen Jahr erneut durchgeführt, mit Fokus auf die Ingenieurwissenschaften, weil zwei der drei ausgelaufenen SFB aus diesem Bereich stammen, hier also – vor allem gemessen an der Zahl der Professor*innen – der größte Aufholbedarf besteht. Die Ideenkonferenz im Juli 2023wurde dabei um zwei Dinge erweitert: einmal um einen Forschungsanschub von jeweils 180.000 Euro, den wir als TU-interne Forschungsförderung jeder Verbundinitiative in Aussicht gestellt haben, die unser Review Board als positiv bewertet. Und zweitens um eine strategische Analyse im Vorfeld, die aussichtsreiche Themenfelder identifiziert hat. Dies beinhaltete auch eine Benchmark-Betrachtung, wie unsere universitären Mitbewerberinnen aufgestellt sind.

„Bei der strategischen Analyse sind wir eine der ersten Universitäten, die das in dieser tiefgehenden Form betreiben.“

Tut die TU Berlin genug, Herr Völker? (2) ©Dialogplattform

Was kam bei diesem Vergleich heraus?

Einerseits die Erkenntnis, dass „Dellen“ in der Drittmittelförderung, also etwa ein Rückgang bei den Sonderforschungsbereichen, auch bei den anderen großen technischen Universitäten in Deutschland immer wieder vorkommen. Aber auch, dass die strukturierte Förderung von Verbundinitiativen an einigen Hochschulen schon seit mehr als zehn Jahren etabliert ist. Bei der strategischen Analyse, den sogenannten Research Analytics, sind wir aber mit eine der ersten Universitäten, die das in dieser tiefgehenden Form betreiben.

Dabei werden dann die Veröffentlichungen der TU Berlin und der Mitbewerberinnen verglichen?

Ja, aber das ist längst nicht alles. Wir hatten gerade kürzlich wieder einen Termin, bei dem das Research Development Team, das in der Abteilung für Forschung und Technologietransfer angesiedelt ist, dem Präsidium die Ergebnisse einer Research Analytics Studie vorgestellt hat. Da arbeiten Spezialist*innen monatelang dran, die über die quantitative Auswertung von Forschungsdaten selber geforscht und promoviert sowie einschlägige Berufserfahrung haben, etwa durch die Beratung von Bundes- und Landesministerien. Für die aktuelle Datenanalyse 2024 wurden mit Hilfe spezieller Analytics-Software über 200.000 wissenschaftliche Publikationen sowie Informationen über mehr als 25.000 Drittmittelprojekte ausgewertet, zudem Expert*innen-Interviews geführt und Förderinstrumente analysiert. Dabei liegt der Fokus wie im vergangenen Jahr darauf, sogenannte unsichtbare Themenklammern zu identifizieren. Also Forschungsfelder, die noch nicht durch etablierte Verbünde bearbeitet werden, an denen aber TU-Wissenschaftler*innen forschen und die thematisch gegebenenfalls miteinander verknüpft werden könnten, um große Verbundprojekte für die TU Berlin einzuwerben. Für die Vorbereitung der Ideenkonferenz 2023sind wir zudem von der gesellschaftlichen Bedeutung der ingenieurwissenschaftlichen Forschung an der TU Berlin ausgegangen, die wir anhand der Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen kategorisiert haben.

„Die Sustainable Development Goals halfen, gemeinsame Forschungsziele zu finden.“

Tut die TU Berlin genug, Herr Völker? (3) ©Dialogplattform

Also die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der UN wie „Sauberes Wasser und Sanitär-Einrichtungen“, „Bezahlbare und grüne Energie“ oder „Maßnahmen zum Klimaschutz“.

Genau. Sie haben jetzt auch schon drei der sechs Ziele genannt, die wir aufgrund der Datenanalyse als besonders relevant für die ingenieurwissenschaftlichen Forschungsthemen an der TU Berlin ansehen. Die drei anderen sind „Industrie, Innovation und Infrastruktur“, „Nachhaltige Städte und Gemeinden“ sowie „Nachhaltiger Konsum und Produktion“. Die Wissenschaftler*innen konnten sich bei der Ideenkonferenz im Juli 2023 dann für Workshops zu diesen Zielen anmelden, wobei wir den Zielen vorher Themenfelder zugeordnet haben, in denen wir im Vergleich mit den anderen technischen Universitäten tendenziell spezialisiert sind. So wurde etwa dem Ziel „Nachhaltige Städte und Gemeinden“ das Themenfeld „Verkehr und Mobilität“ zugeordnet.

Wurde durch diese Beschränkung auf die Themenfelder nicht gerade eine Kommunikation über die Fachgrenzen hinweg und eine freie Ideenfindung verhindert?

Ganz im Gegenteil! Wir hatten in allen Workshops Teilnehmende aus unterschiedlichen Fakultäten, die oft zum ersten Mal aufeinandertrafen. Die Sustainable Development Goals haben sichergestellt, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, gemeinsame Forschungsziele zu finden. Wir schätzen, dass etwa zwei Drittel der für eine TU-Förderung ausgewählten Initiativen sich ohne die Ideenkonferenz nicht gefunden hätten.

„Wir sind überwältigt von der großen Zahl an guten Ideen.“

Tut die TU Berlin genug, Herr Völker? (4) ©Dialogplattform

Tatsächlich werden jetzt elf Verbundinitiativen über einen Zeitraum von zwei Jahren vom Präsidium der TU Berlin gefördert. Hatten Sie mit einer so hohen Zahl gerechnet?

Nein, ich persönlich bin von vielleicht fünf oder sechs förderwürdigen Verbundprojekten ausgegangen. Wir sind wirklich überwältigt von dieser großen Zahl an guten Ideen. Und wir, beziehungsweise unser Review Board mit Fachleuten aus allen relevanten Bereichen, waren durchaus kritisch. Zwei Projekte wurden erst aufgenommen, nachdem sie deutliche Nachbesserungen geliefert hatten.

Es war vermutlich von Vorteil, dass es was zu gewinnen gab …

Ja, diese Mohrrübe war sicherlich hilfreich (lacht). Das ist eben der menschliche Faktor: Es gibt dringende Dinge und es gibt wichtige Dinge, und die dringenden Dinge werden gemacht und die wichtigen bleiben oft liegen, wenn sie keine Deadline haben. Im Prinzip zahlt auch unser Fördergeld genau auf dieses Phänomen ein. Es wird vollständig in Stellen für Postdocs oder erfahrene Doktorand*innen fließen, die über zwei Jahre hinweg erste Forschungsaktivitäten des Verbundprojekts anstoßen und das Schreiben der Förderanträge koordinieren. Vor allem aber werden sie diejenigen sein, die den Laden zusammenhalten und die Projektpartner*innen auch freundlich erinnern, wenn für die das Tagesgeschäft mal wieder Vorrang hat. Mehr als die Hälfte dieser geförderten Personen sind übrigens Frauen.

„In diesem Jahr werden wir von den Förderchancen der DFG her denken.“

Können Sie etwas zu den Ideen der Projekte sagen?

Gute Ideen sollte man natürlich erstmal für sich behalten, solange man aus ihnen noch kein Kapital geschlagen hat … Aber um Ihnen zwei Anhaltspunkte zu geben: Eine Idee stammt von einem interdisziplinären Zusammenschluss aus technisch-orientierten Roboter-Forscher*innen und Wissenschaftler*innen aus der Psychologie und der Betriebswirtschaft, bei der es um die Schnittstelle von Mensch und Maschine geht. Ein anderes Beispiel sind Forscher*innen aus den Bereichen Data Science und Mobilität. Sie wollen ungeklärte Grundlagenfragen einer intelligenten Mobilität der Zukunft adressieren.

Wie geht es jetzt weiter im Prozess? Sie sprachen ja vorhin schon von den unsichtbaren Themenklammern, die durch die Research Analytics gefunden wurden.

Wir werden 2024den Prozess sozusagen umdrehen und nicht von den gesellschaftlichen Bedarfen ausgehen, sondern von den Förderchancen der DFG her denken. Startpunkt dafür sind die fünf Segmente, in die die Deutsche Forschungsgemeinschaft die Ingenieurwissenschaften einteilt, eines davon ist zum Beispiel „Maschinenbau und Produktionstechnik“. Zu den dort identifizierten, emergenten Forschungsfeldern wollen wir gemeinsam mit den TU-Ingenieur*innen Workshops veranstalten und schauen, ob wir weitere Zusammenarbeiten und Verbundideen anstoßen können.

Werden wir nach den zwei Jahren Förderung der Projekte durch das Präsidium dann mehrere neue SFB an der TU Berlin haben?

Nein, jedenfalls keine, die aus diesen Projekten entstanden wären. Die zwei Jahre dienen für vorbereitende Forschungsarbeiten. Denn es ist für DFG-Bewerbungen natürlich hilfreich, wenn alle Beteiligten bereits gemeinsame Veröffentlichungen vorweisen können. Vielleicht werden begleitend auch schon Anträge auf DFG-Sachbeihilfen gestellt. Einen Pluspunkt bei Bewerbungen stellen auch Verbundpartner*innen aus anderen Hochschulen dar – diese müssen aber erstmal gefunden werden. Am Ende der TU-Förderung sollte dann ein Antrag bei der DFG eingereicht werden zum Beispiel zur Aufnahme als DFG-Forschungsgruppe. Zusammen mit Anträgen bei den Förderlinien der Graduiertenkollegs oder der DFG-Schwerpunktprogramme können so Bausteine gesammelt werden, die dann später die Bewilligung eines Sonderforschungsbereichs realistisch erscheinen lassen.

Bei der hohen Zahl der bereits jetzt im Prozess entstandenen Verbundinitiativen und der Bewilligungsquote der DFG von etwas weniger als 30 Prozent gehe ich davon aus, dass wir auf jeden Fall zwei bis drei DFG-Forschungsgruppen oder ähnliche Förderprojekte einwerben können.

„Ich bin immer dafür, sich die Dinge weder schön zu reden, noch sein Licht unter den Scheffel zu stellen.“

Ein steiniger Weg also bis zu einem neuen SFB …

Aber auch ein guter Weg, auf dem wir jetzt sind. Ich bin immer dafür, sich die Dinge weder schön zu reden, noch sein Licht unter den Scheffel zu stellen. Drei Exzellenzclusterlaufen und wir sind stolz auf unsere Wissenschaftler*innen, die sie erfolgreich beantragt haben und die hier seit vielen Jahren Spitzenforschung auf höchstem Niveau betreiben. Zwei Anträge für SFB befinden sich im Begutachtungsverfahren bei der DFG. Wir verfügen zudem über mehrere laufende Forschungsgruppen, Graduiertenkollegs sowie Schwerpunktprogramme, bei denen die TU Berlin Sprecherin ist. Mit dem bei uns angesiedelten BIFOLD, das sich mit maschinellem Lernen und Big Data beschäftigt und eins von fünf nationalen KI-Zentren ist, haben wir ein Institut mit einem Fördervolumen von etwa drei SFB. Wir sind antragstellende Hochschule für die Fortsetzung der drei erwähnten, international sehr renommierten Exzellenzcluster. Und mit einem ungeheuren Kraftakt haben die damaligen Präsidien und viele weitere Menschen in den drei Berliner Universitäten und der Charité Ende 2019 die Berlin University Allianceaus der Taufe gehoben. Erst jetzt beginnen wir zu merken, welche wunderbaren Möglichkeiten zur Kooperation und zum Teilen von Ressourcen dieser einzigartige Exzellenzverbund bietet. Wir schneiden in vielen Fächern bei Rankings gut ab und sind in Deutschland die Nummer zwei bei der Gründung von Start-ups. Auf all dem sollten wir uns nicht ausruhen – aber stolz drauf sein können wir trotzdem.

Das Interview führte Wolfgang Richter.

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