Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft sieht in der deutschen Migrationspolitik ein Sicherheitsrisiko und kritisiert die Bundesinnenministerin. Gegen den Vorwurf, den Angriff auf einen Islamkritiker relativiert zu haben, wehrt er sich.
Alexander Kissler, Berlin
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Herr Wendt, die Messerattacke auf dem Mannheimer Marktplatz am zurückliegenden Freitag führte zu einem Schwerverletzten und einem Toten. Ein involvierter Polizist starb an diesem Sonntag. War es Terror?
Der tragische Tod unseres jungen Kollegen zeigt schlaglichtartig, wie sehr Hass und Gewalt in unserer Gesellschaft zugenommen haben und dass viel zu oft Polizeikräfte die Opfer sind, die in Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrages ihr Leben lassen müssen. Es war auf jeden Fall ein islamistischer Terrorakt. Über den Täter ist noch wenig bekannt. Er lebte allem Anschein nach in zumindest äusserlich geordneten Verhältnissen, mit Frau und zwei Kindern, und war unauffällig.
Mehrere Medien berichten, es handele sich um einen 25-jährigen Afghanen, der 2014 nach Deutschland gekommen sei.
Wenn ich mir das Video anschaue, habe ich da meine Zweifel. Er sieht deutlich älter aus. Das Geburtsjahr 1999 haben zahlreiche Asylbewerber bei ihrer Einreise angegeben. Jetzt braucht es ein DNA-Gutachten, um das Alter des Attentäters zu bestimmen.
Wie wird aus einem, wie Sie sagen, unauffälligen Zeitgenossen ein Terrorist?
Er muss sich in Deutschland radikalisiert haben, vielleicht über das Internet, vielleicht in einer Moschee oder Koranschule. Viele solcher tickenden Zeitbomben leben mitten unter uns. Sie sind für die Polizei der absolute Albtraum, weil man sich vor ihnen kaum schützen kann. Ein Küchen- oder sogar ein winziges Teppichmesser reicht, um die Halsschlagader durchzuschneiden und ein Leben zu beenden. In der Regel sind es Einzeltäter, die auch im Netz keine Spuren hinterlassen. Das Verhalten des Täters und der Anlass – die Kundgebung der islamkritischen Bürgerbewegung Pax Europa (BPE) – lassen keinen Zweifel, dass wir es mit einem islamistischen Terrorakt zu tun haben.
Sie haben beim Fernsehsender Welt gesagt, in Mannheim seien «mehrere Extremisten aufeinandergestossen». Der attackierte Islamkritiker, Michael Stürzenberger, sieht in dieser Formulierung eine «ungeheure verbale Entgleisung» und fordert von Ihnen eine Entschuldigung. Er wolle nicht mit einem potenziellen Mörder gleichgesetzt werden.
Was ein Unfug! Das bayrische Landesamt für Verfassungsschutz hat Herrn Stürzenberger neun Jahre lang der «verfassungsschutzrelevanten Islamfeindlichkeit» zugeordnet. Ich habe keine Gleichsetzung vorgenommen. Stürzenberger ist hier eindeutig das Opfer, und der Terrorist ist der Täter. Doch zum Gesamtbild gehört es eben auch, dass das Opfer zuvor vom Inlandgeheimdienst beobachtet wurde. Natürlich wünsche ich Herrn Stürzenberger eine schnellstmögliche und vollständige Genesung. Niemand hat es verdient, zum Opfer von Terroristen zu werden.
Sie sprachen eingangs von tickenden Zeitbomben aus dem islamistischen Milieu. Wie viele gibt es?
Wenn wir das mal wüssten! Es gibt einige hundert Gefährder und weitere rund 1800 relevante Personen. Zu jedem Einzelnen finden regelmässig Fallkonferenzen statt. Attentäter wie nun jenen in Mannheim kennen wir aber gar nicht. Wie viele Schläfer auf diese Weise unter dem Radar bleiben, ist nicht bezifferbar.
Hat die Politik diese Gefahren hinreichend im Blick?
Die CDU hat meinem Eindruck nach auf ihrem Bundesparteitag die Brille schärfer gestellt. Man scheint bereit, die Politik Angela Merkels hinter sich zu lassen und zur Realität zurückzukehren. Die Erkenntnis ist gereift, dass Deutschland wissen muss, wer sich im Land befindet, wer ins Land kommt und dass aufenthaltsbeendende Massnahmen viel schneller ergriffen werden müssen. Bei Frau Innenministerin Nancy Faeser warte ich noch auf diesen Erkenntnisfortschritt.
Braucht es gesetzliche Verschärfung?
Wir sollten, um Ausweisungen anordnen zu können, uns nicht länger nur am Strafmass orientieren. Ich plädiere für einen Katalog an Straftaten. Sexualstraftaten oder Angriffe auf Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr sollten unmittelbar zur Beendigung des Asylverfahrens führen. Kein anderes Land lässt es sich bieten, dass man Staatsbedienstete attackieren darf, ohne sein Aufenthaltsrecht zu verlieren. Seit Jahren gefährdet die deutsche Migrationspolitik die innere Sicherheit in Deutschland.
Könnte das Attentat von Mannheim ein Weckruf sein?
Es gab schon viel zu viele Weckrufe, zu viele Anschläge, ohne dass es zu grundlegenden Änderungen gekommen wäre. Das wird, fürchte ich, nun wieder so sein. Die jetzige Bundesregierung schläft in dieser Hinsicht. Frau Faeser wird sich weiterhin an dem schon von Franz-Josef Strauss kritisierten Ritual orientieren: Erst ist da ein Höchstmass an Empörung und Betroffenheit, dann wird vor Überreaktionen gewarnt, und schliesslich geht man zur Tagesordnung über. Das ist umso betrüblicher, weil wir uns auf die Fussball-Europameisterschaft zubewegen. Wir haben die ganz grosse Befürchtung, dass es zu islamistischen Nachahmertaten kommen wird. Die Freiheitsstrafe ist zwar die schärfste Waffe des Strafrechts, hält aber einen überzeugten Attentäter, der den eigenen Tod als Märtyrer einkalkuliert, nicht ab.
Kann es aus diesem Dilemma einen Ausweg geben?
Der Staat muss sich selbst wieder ernst nehmen und bei bestimmten Straftaten sofort das Aufenthaltsrecht entziehen.
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